Ich bin ganz alleine im Haus. Die Bilder von Pat sind angekommen. Da stehen sie, verpackt und an die Wand gestapelt im Korridor, sehr gross sind sie, mehrere sind rund 2.5 Meter hoch. Ich stehe davor, gleich will ich sie auspacken. Noch nicht lange, es war noch Sommer, waren wir bei Pat Treyer (1956) im Atelier, im umgebauten früheren Wohnhaus der sechsköpfigen Familie. Jetzt sind die Kinder ausgeflogen. Pat malt weiter. Ihre Figuren – „Wonderwoman“, „Frau mit schwarzen Füssen“, „Frau mit Pfeife“ und viele mehr – haben wir damals zusammen angeschaut, während Pat erzählte. Von ihrer eruptiven Art, zu malen. Eine Malweise mit viel Körpereinsatz sei das, sie male oft stundenlang, laute Musik spiele, die Kleider seien hernach zum Fortwerfen farbig und sie komplett erschöpft. Erzählt, wie sie früher mit den Händen gemalt habe, und dass die Themen, die sie in ihren Arbeiten angeht, diejenigen des eigenen Erlebten sind: Die Frau mit der Pyramide aus Steinen auf dem Kopf, die Frau mit den schwarzen Füssen, die Geliebte. Sie habe keine Botschaft im eigentlichen Sinn, sagt Pat, aber sicherlich ist sie eine feministische Malerin. Und ihre intensiven, farbstarken Figuren, die oftmals über ihre eigene Körperlichkeit zu staunen scheinen - man weiss nicht, ob erfreut oder erschrocken - bringen ihre kritische Sichtweise einmalig zum Ausdruck. Laut, direkt und ohne Scheu vor expliziter Darstellung. Aber auch mit einer unglaublichen Dynamik und mit verspieltem Witz. Bald werden ihre Arbeiten in der Ausstellung „BodyTalk“ hier hängen, neben denjenigen des französischen Künstlers Yves Berger (1976). Auch er setzt sich in seiner Malerei mit dem Körper auseinander. Jedoch unterscheiden sich die beiden Kunstschaffenden so grundsätzlich in Ausdruck und Herangehensweise, dass man sich kuratorisch – und also auch als Besucher:in - herausgefordert fühlen darf.
Hast du „Ways of seeing“ von John Berger gelesen, möchte ich Pat fragen. Diese immer noch so faszinierende Abhandlung – bereits 1972 veröffentlicht – in der der Künstler, Kritiker und Romancier – „der Mann, der uns das Sehen lehrte“ und Vater von Yves Berger! - zur Selbstwahrnehmung der Frau schreibt? Siehst auch du dich als eine, die ein Leben lang eine Selbstwahrnehmung hatte, die eine Art Doppelbewusstsein darstellt, und im Grunde eine zensurierte war? Denn so unmittelbar und laut Pats Arbeiten auch zu einem sprechen, ihre Figuren zeigen auch eine grosse Verletzbarkeit.
Am besten sei es, wenn der Kopf malt und die Hand denkt, sagte Pat einmal.
Ich frag sie später noch nach dem Buch. Jetzt will ich die Bilder auspacken.
BodyTalk I Die Doppelausstellung mit Pat Treyer und Yves Berger läuft vom 17. September - 10. Oktober 2021 in der Villa Renata