Wer 166 Mortadellascheiben beidseitig malerisch darstellt, nicht ohne die Betrachtenden hernach höflich darauf aufmerksam zu machen, dass die Pefferkörner im Fleisch hinten und vorne nicht gleich aufscheinen, darf man mit Fug gründlich und ausdauernd nennen. Das genuine Interesse an Form und Funktion, das der künstlerischen Akribie hier zugrunde liegt, bezieht sich ausschliesslich auf Objekte. Denn deren Nutzende sind gänzlich abwesend. Was nicht bedeutet, dass sie nicht mitgemeint sind. Ein Vergleich mit der aktuellen Gesellschaftsordnung drängt sich auf.
Der Satz aus der „Endlich Ordnung“- Serie, die Christoph Hänsli (1963) im Jahr 2002 erstellt hat, kann generell zielführend sein im Annäherungsversuch an das Werk des ausserordentlichen Zürcher Malers und Konzeptkünstlers. Die Arbeit zitiere, so Hänsli, kurze Dialoge aus einem älteren SciFi-Film, wo es immer von neuem zu bedrohlichen bis hin zu ausweglos scheinenden Szenen kam, in denen die Protagonisten offenbar mit mehr oder minder hilfreichen, trösten wollenden oder vielleicht Ablenkung beabsichtigenden Aussagen miteinander kommunizierten. „Alles in Ordnung bei Ihnen?“, „Wir finden einen Weg hier raus!“, “Wir verhalten uns ganz ruhig.“, ist zu lesen. Und: „Wer ist hier zuständig?“ Fragen, die aktuell eine weitere Dimension eröffnen.
Zuständigkeit und Ordnung sind sicher Stichworte für Hänslis Affinität zu Objekten. Denn es sind solche, die aufzählen, aufreihen, aufräumen oder zumindest versuchen sie es: Der Schrank mit den handbeschriebenen Skript-Kartonschachteln des Kunstkritikers , die Gläser-Sammlung aus der Giftmüll- Deponie Herfa-Neurode , die in verschiedenen Städten gefundenen Schrauben aller Arten von Varianten von Kopf und Gewinde. Und die Reihe Biergläser - lakonisch mit „Weekend-Project“ betitelt - , die landläufig die Freizeit strukturieren. Der guten Ordnung halber geht die Redewendung, um zu beschreiben, dass sich etwas halt einfach so gehört: Die Ordnung hat auch Tradition. Doch gut ist die Ordnung nicht immer nur. Nicht selten ist sie eine lediglich vordergründige oder aber sie führt ein seelenloses Diktat. Der Ordnungsbefehl entspricht letztendlich auch dem Bedürfnis nach Orientierung. Die Versuche der ordnenden Struktur, die ein zivilisiertes gemeinschaftliches Leben bedingt, spiegelt uns der Künstler. Und auch ihre mögliche Fragilität.
Sie ist verblüffend aktuell.
Kein Mensch störe die Ordnung und auch keine anderen Details: in Hänslis Bildern finden sich keine menschlichen Akteure. Die gedämpften Farben unterstreichen die Ruhe der Szene. Lediglich die Attribute des Motives selber sind präzis gezeichnet: Ornamente auf Wand oder Wäsche, Schalterknopfoberflächenmaterial, Windungsrillen. Das Hotelbett erzählt gleichwohl vom Gast, vielleicht davon, wie er nachts schlaflos die gemusterte Tapete studierte. Und der jeweilige Apothekerschrank mit sinnigem Titel „Die Festung“ verrät aufgrund der beschrifteten Arzneien, welcher medizinischer Helferlein sich Jemand bedient, und blitzschnell überprüft die Betrachtende, was der eigene Arzneischrank preisgeben würde. Der Mensch selber aber fehlt in jedem Bild, so, wie er heute auf der Strasse fehlt und im Restaurant. Und gleichwohl ist er ja da.
Hänslis Objekte sind, obzwar von Menschen verlassen, beseelte. Oder gerade deshalb? So ohne uns Nutzende wirken sie verloren einerseits, und andererseits scheinen sie selber zu personifizieren. Gleichsam wie die verlassenen Geschäfte zur Zeit und die Flugzeugflotte am Boden rühren sie an in ihrer verordneten Disfunktionalit,ät. Was ist die Maschine, das Werkzeug ohne Mensch? Um Objekt-Beziehung geht es also auch und darum, was man sich von ihr verspricht. Sicherheit verspricht man sich und Ordnung. Wenn sie so ohne uns dastehen, unsere Dinge, stellt sich die Frage noch deutlicher: auf welche Ordnung verlassen wir uns denn? Auf den Apothekerschrank gefüllt mit Antidepressiva und Schmerzsuppressoren und auf die acht Meter lange Schalttafel der Energiezentrale im Gotthard-Réduit? Oder auf ein kühles Bier?
Modelleinrichtung der kommenden Ausstellung "Die Konferenz der Dinge" in der Villa Renata: