Christian Grogg - Zimmer Nr. 59

01. – 22.
Mai
2022
Christian Grogg

Der Titel Zimmer Nr. 59 scheint trivial. Solange Weiteres nicht bekannt ist, jedenfalls. Banales nimmt der Berner Künstler Christian Grogg (*1963) gerne als Ausgangspunkt. Mit welch stringenter Absicht die Umsetzung einer Idee dann geschieht und mit welcher Präzision diese ausgeführt wird, tritt erst bei genauerer Betrachtung zu Tage. Bis dahin allerdings können ein Objekt, eine Installation, ein Gemälde – in vielen verschiedenen Medien fühlt Grogg sich zuhause - auch einfach mal primär schön sein und anziehend wirken. Denn die Produkte der unterschiedlichen Techniken bestechen durch eigenwillige Konstruktion, Materialwahl und Farbgebung.
Der Künstler arbeitet in verschiedenen Medien, und seine Arbeiten werfen Fragen auf. Worum geht es hier? Sind diese Objekte Möbelstücke, Spielgerät, reine Skulptur? Ist die Malerei abstrakt oder soll man eine Figur, einen Gegenstand erkennen? Stets findet man sich Situationen gegenüber, die man zu erkennen meint, aber sie entziehen sich einer endgültigen Interpretation sogleich wieder.
Christian Grogg, spielt mit unserem Bedürfnis der Verortung auf humorvolle aber dezidierte Weise. Viele seiner Arbeiten werden erst zugänglich, wenn man sich um sie herum bewegt. Und dann kann man unter verschiedenen Blickwinkeln die Neugierde und den Charme erkennen, die diesen Arbeiten innewohnen. Ihre Beschaffenheit, so, wie wir sie erwarten, hat der Künstler durch sparsame Verschiebungen etwa in Grösse, Ausrichtung, Farbe und durch eine raumorientierte Positionierung verändert. Und setzt solcherart scheinbar Gewohntes einer leicht verblüffenden Irritation aus. Zusätzlich fasziniert ein spannungsreiches Zusammenspiel von Präzision und Nonchalance in der Konstruktion, bei der Materialwahl und dem Farbauftrag. Ebenso überzeugt das traumsichere Lavieren zwischen Figürlichem und Abstraktem in der Malerei.
In den einzelnen Räumen des 150 jährigen Hauses spielen sich unter- schiedliche Szenen ab. Eingangs leuchten schwarze Punkte hinter rotem Plexiglas auf. Ein feingliedriges kleines Drahtgebilde steht leicht auf einer Konsole. Ein Esel nähert sich schemenhaft. Gegenüber ein vertikales schwarzes Objekt neben zwei figurativen Malereien auf kleiner Leinwand. Hier, im Korridor, versammeln sich im Grunde schon alle Themen, Materialien, Ausmasse und Medien, die den Künstler interessieren: Der Punkt und sein Nachflimmern, das Möbelmodell, der Camper mit Durchblick, die abstrakte Form, die unterbrochene Linie der figurativen Zeichnung.
Im ehemaligen Vorratsraum – sinnigerweise – finden sich einige singuläre Impulsgeber für Groggs Arbeit: Ein Stück goldener Zellophan-Streifen einer Zigarettenpackung etwa, leicht gekrümmt hinter Glas, war ausschlaggebend für die monumentale Installation „Walk The Line“ (2008). Der Loop als Relief hingegen erzählt vom Interesse des Künstlers am Spiel zwischen Fläche, Räumlichkeit und Illusion. In der Küche und vor allem in den beiden grössten Räumen des Hauses finden wir die Umsetzungen von solchen Impulsen: „Leises Intro“ (2014) hängt als raumfüllende Installation scheinbar leicht von der Decke, die 280x190x175cm grossen Platten aus Pappelholz biegen sich wie übergrosse Papierbögen im leichten Wind, nur die rote Plexiglasfläche schneidet den Raum im Lot und wirft je nach Lichteinfall farbige Schatten. Die geschwungene Linie, hellblau, liegt auf dem Parkett, fliesst in den nächsten Raum und endet, wo seitlich zwei möbelähnliche Objekte stehen. An der Seitenwand eine grosse abstrakte Malerei, die über dem Geschehen zu wachen scheint - obzwar keine Figur noch Gegenstand - und die einen in seltsam kühlen dichten Farben direkt konfrontiert.

Beim weiteren Gang durchs Haus erscheinen oftmals erst aus dem Augenwinkel wahrnehmbar Variationen von bereits Begegnetem:
Die vertikal aufragenden Formen, gelb oder schwarz, die schwarzen Punkte, jetzt auf weisser Leinwand und mit intensiverem Nachflimmern, Objekte in subtilen Verformungen, die das Auge täuschen, so dass man sich ihnen annähern muss, um ihre Konstruktion zu erfassen, oder dieser zumindest etwas näher zu kommen. Manchmal wirken Material und Farbgebung konfrontativ, manchmal scheinen abstrakte Figuren wesenhaft zu werden.
Zimmer Nr. 59 schliesslich überrascht uns mit einer Installation von farbigen Reifen, Hölzern und Kugeln, die sich fast unmerklich bewegen an Silbergarn und Silch, ein farblich temperiertes Riesenmobile, während im Hintergrund ein Junge auf Glas sich bäuchlings zum fliessenden Wasser neigt, eine überaus rührende Gestalt, deren Zerbrechlichkeit durch die Materialität des Bildträgers unterstrichen wird.
Im Garten dann finden sich die Lofts der Nomaden, die wie übergrosse Kartenhäuser ein bisschen unbeholfen aufragen, und man setzt sich vielleicht auf eine Bank oder einen Stuhl und betrachtet die windschiefen Gebilde und denkt an eine Sage aus der Ostschweiz, die besagt, dass einst ein einsamer Riese mit seinem Sack voller kleiner Häuschen über die Hügel des Toggenburges kletterte, weil er eine Stadt gründen wollte. An der Kante eines steilen Berges riss der Sack ein und so verlor der Träger seine Last, nach und nach, was der Grund ist dafür, dass im appenzellischen Hügelland die Höfe und Häuser wie zufällig gestreut auf Höhen, in Tobeln und auf Talböden liegen. Und man denkt, dass hier im Garten und Haus aber kein Riese am Werk war, sondern ein feiner Geist, dem keine Objekte verloren gehen. Sondern ein Topophiler, der sehr genau die Räume und Zwischenräume vermisst, die ihn interessieren. Um sie für uns aufzubereiten, leicht variiert in Farbe und Form und der uns damit zu vielfachen Durchblicken verhilft. Nicht nur räumlichen.

Franziska Stern-Preisig

Fotos: Yoshiko Kusano & María Angeles Miranda